Im Gespräch mit dem Ermittlungsausschuss zum 1. Mai 2010

»Man versucht, die Eskalation herbeizureden«
Zum 1. Mai wird wieder Stimmung gegen Linke gemacht. »Ermittlungsausschuß« steht bereit. Ein Gespräch mit Beate Beckmann, Mitarbeiterin des Berliner Ermittlungsausschusses.

Politiker und Medien haben in den vergangenen Tagen enorm Stimmung gemacht – am 1. Mai sei vor allem in Berlin mit der »Zunahme linker Gewalt« zu rechnen. Ist das so?

Das ist keineswegs zu erwarten – aber wie in jedem Jahr wird auch dieses Mal versucht, vor dem 1. Mai eine Eskalation herbeizureden. Natürlich drängt sich die Vermutung auf, daß durch derartige Ankündigungen ein hartes Durchgreifen der Polizei schon vorab gerechtfertigt werden soll.

Wenn man Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) richtig interpretiert, ist das durchaus zu erwarten …

Wir haben es schön öfter erlebt, daß vorher Alarm geschlagen und unnachsichtige Reaktionen der Polizei in Aussicht gestellt wurden – und dann lief alles ohne größere Zwischenfälle ab. Prognosen zum Ablauf des 1. Mai in Berlin-Kreuzberg sind verständlicherweise unmöglich – allerdings ist es durchaus denkbar, daß aus einem Funken eine Flamme wird.

Seit vielen Jahren gibt es in deutschen Großstädten »Ermittlungsausschüsse« – eine Art Anwaltsnotdienst für Demonstranten, die Ärger mit der Polizei haben. Kann ein solcher Ausschuß in aktuen Fällen tatsächlich helfen? Zum Beispiel Demonstranten aus der Polizeihaft herausholen?

Rausholen können wir selbst sie nicht, aber wir helfen ihnen weiter. Wenn wir von einer Festnahme erfahren, stellen wir den Kontakt zu einem Anwalt her. Der geht dann z. B. zur »Gefangenen-Sammelstelle« am Tempelhofer Damm und versucht, den Betreffenden rauszuholen.

Es gibt allerdings auch Demonstranten, die aufgrund des »Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes« festgenommen werden. Die bleiben so lange in Haft, bis die Demonstration oder die Kundgebung vorüber sind – das wird vorher schon von der Polizei festgelegt. Das dauert oft zehn oder zwölf Stunden, bis die wieder frei sind.

Die werden also für die Zeit der Demonstration einfach aus dem Verkehr gezogen, ohne etwas gemacht zu haben?

Das ist durchaus üblich – Personen, die der Polizei irgendwann aufgefallen sind, wird mitgeteilt, daß sie sich am 1. Mai z. B. in der Kreuzberger Oranienstraße nicht sehen lassen dürfen. Wenn sie es dennoch tun, werden sie einkassiert. Die bloße Anwesenheit reicht also aus.

Gerade die Berliner Polizei ist immer wieder aufgefallen durch rabiates, mitunter brutales Vorgehen. Wie sind die Chancen, wenn man dagegen gerichtlich vorgeht?

Sehr schlecht. Wenn ein Demonstrant z. B. nach Übergriffen einen Polizisten anzeigen will, erfährt er meistens nicht einmal den Namen. Statt dessen bekommt dieser Demonstrant aber oft eine Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder wegen Körperverletzung. Ich kenne sogar einen Fall, in dem ein Foto des angezeigten Beamten vorlag, auch seine Einheit war bekannt – aber er war merkwürdigerweise nicht mehr aufzutreiben.

Den Ermittlungsausschuß in Anspruch zu nehmen, ist ja erst dann nötig, wenn es Ärger gegeben hat. Worauf sollten Demonstranten achten, damit es nicht so weit kommt?

Das fängt damit an, daß man verschiedene Sachen gar nicht erst mit zur Demo nimmt. Rauschgift oder Waffen z. B. – doch darauf hinzuweisen, ist wohl überflüssig. Aber auch keine Gegenstände, die als Schutzkleidung interpretiert werden können, wie z. B. Knie- oder Ellenbogenschoner oder Schuhe mit Stahlkappen. Es ist auch schon versucht worden, Halstücher oder Sonnenbrillen als Verstoß gegen das »Vermummungsverbot« zu kriminalisieren. Demonstranten sollten aber auf jeden Fall ihre Ausweise mitführen.

Was ist mit Mobiltelefonen?

Das sind normale Gebrauchsgegenstände, die darf man im Prinzip mitführen. Allerdings haben manche Demonstranten die Unsitte, alles per Handy zu fotografieren – da kann es geschehen, daß die Polizei das Gerät zur »Beweissicherung« beschlagnahmt. Natürlich lassen sich per Handy auch Polizeiübergriffe dokumentieren. Aber auch da läuft man Gefahr, daß es beschlagnahmt wird, mit der Begründung des »Rechts auf das eigene Bild«.

Wie ist der Ermittlungsausschuß in Berlin zu erreichen?

Wir sind etwa 15 Personen und haben uns über das Wochenende den Dienst schichtweise eingeteilt. Zu erreichen sind wir über die Berliner Nummer 69 222 22.

Erschienen am 30. April 2010 in der Tageszeitung Junge Welt, Interview: Peter Wolter